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Position

28.11.2024

Trotz Alledem: Doppelte Solidarität!

beschlossen im September 2024 durch die Delegierten der Bundesausschuss-Sitzung in Mannheim

Trotz Alledem: Doppelte Solidarität!
Trotz Alledem: Doppelte Solidarität!

Wir Falken arbeiten seit Jahrzehnten mit unseren Partner*innen in Israel und Palästina zusammen. 2013 hat der Bundesausschuss einen Beschluss zu unserer Position zum Konflikt gefasst.[1] Wir stehen heute, insbesondere nach dem Massaker am 07.10.2023 und dem folgenden Krieg, vor veränderten Bedingungen und in jeder Hinsicht schwierigeren Herausforderungen als 2013, die es nötig machen, unsere Position anzupassen.

Die Position der Doppelten Solidarität im Kontext des Israel-Palästina Konfliktes ist für unsere Perspektive als SJD – Die Falken zentral: sowohl für unsere praktische Arbeit als auch für unser Verständnis von sozialistischer und internationalistischer Politik. Doppelte Solidarität bedeutet, dass wir solidarisch sind mit progressiven, linken und sozialistischen Akteur*innen in Israel und Palästina, die sich trotz der erschwerten Bedingungen für friedliche Lösungen einsetzen, und dass wir deren konkrete Handlungsperspektiven zum Inhalt unserer gemeinsamen Arbeit machen. Die doppelte Solidarität basiert auf einer universellen Rassismus- und Antisemitismuskritik. Solidarisch sind wir auch mit der Zivilgesellschaft in Israel und Palästina, die unter den aktuellen Bedingungen leidet. Wir knüpfen unsere Solidarität nicht an die Zugehörigkeit zu einer nationalen oder ethnischen Gruppe.

Zentral für uns sind dabei unsere Partner*innen aus der Arbeiter*innenjugendbewegung: Noal (hebr. HaNoar HaOved VeHaLomed, Arbeitende und Studierende Jugend in Israel), Ajyal (arab. Generationen, arabische Jugendbewegung in Israel), IYU (Independence Youth Union, Palästina) und Hashomer Hatzair (hebr. Junger Wächter des Landes, Israel). Sie sind unsere Diskussionspartner und Genoss*innen vor Ort. Die Solidarität mit ihnen ist der Kern unserer Arbeit in Bezug auf den Nahostkonflikt. Uns verbindet die Praxis der Sozialistischen Erziehung und wir organisieren uns gemeinsam in der IFM-SEI. Der Ort unserer Zusammenarbeit ist das Willy-Brandt-Center in Jerusalem.

Stand der Friedensarbeit

Hatte vor dem 07.10.2023 zwar eine vorsichtige Annäherung zwischen den Partner*innenorganisationen stattgefunden, müssen wir feststellen, dass die Zusammenarbeit unserer Partner*innenorganisationen schon lange prekär war. Die Kontexte, in denen die sie stattfinden konnte, standen stets unter externem Druck. Dieser Druck hat in den letzten Jahren so zugenommen, dass Begegnungsräume wie das WBC so marginalisiert sind, dass sie ihre Funktion kaum noch erfüllen können. Grundsätzliche Annahmen, auf denen unsere Arbeit beruht hat, treffen zunehmend weniger zu.

Geopolitisch wird die Staatlichkeit Israels zunehmend prekärer und die Bedrohung unmittelbarer. Mit der zunehmenden Isolation Israels geht einher, dass internationale Perspektiven vor Ort gesamtgesellschaftlich immer weniger relevant werden. Seit der Aufnahme unserer gemeinsamen Arbeit vor Ort besteht eine Konfliktdynamik, die auf palästinensischer Seite zu stetig verkleinerter Handlungsmacht führt, gegen die Besatzung politisch zu arbeiten.

Der durch den Oslo-Prozess geprägte Rahmen unserer Arbeit hat mit der Lage vor Ort zunehmend weniger zu tun: Der Zerfall insbesondere der organisierten palästinensischen Linken ist so weit vorangeschritten, dass für uns anschlussfähige Organisationen der Arbeiter*innenbewegung kaum noch bestehen. Unsere Partner*innenverbände in Israel sind in einem besseren Zustand, werden aber gesellschaftlich immer weiter an den Rand gedrängt und sind immer stärkerem Druck von stetig rechteren Regierungen ausgesetzt. Gleichzeitig zeigen sich in internationalen Gremien wie der IFM-SEI Entwicklungen, die eine stetige Diffamierung und schlussendlich Verdrängung unserer israelischen Partner*innenverbände aus der internationalen Linken bewirken.

Deutsche Verhältnisse

In Deutschland stehen wir als Falken vor der Herausforderung, dass gesamtgesellschaftlich der wachsende Antisemitismus nicht wirksam bekämpft wird, sondern für die Legitimation rassistischer Politik instrumentalisiert wird. Besonders migrantische Jugendliche erleben seit dem Massaker vom 07.10.2023 und dem darauffolgenden Krieg deutlich mehr Schikanen und Repressionen durch Polizei und Staat. Parallel dazu häufen sich Angriffe und Anfeindungen gegen jüdische Einrichtungen, jüdische Organisationen und gegen Jüd*innen und Juden selbst. Dabei muss betont werden, dass es antisemitische Kritik an Israel nie legitim sein kann. Deutscher Antisemitismus – ob offen oder verborgen – darf in keiner Form relativiert oder durch vermeintliche Kritik an Israel gerechtfertigt werden. Ebenso wenig kann Rassismus gegenüber Palästinenserinnen in irgendeiner Form gerechtfertigt werden. In Bündnisarbeit und Kooperation mit anderen Gruppen wird Kritik an antisemitischen und rassistischen Inhalten geübt und überprüft, ob eine Zusammenarbeit vertretbar ist.

Wir müssen daher nicht nur eine Position zum Krieg im Nahen Osten ausarbeiten, sondern auch eine zum deutschen Umgang damit sowie ein besseres Verständnis davon entwickeln, welche Interessen der deutsche Staat im Nahostkonflikt verfolgt.

Wir merken, dass unsere Position der Doppelten Solidarität in Deutschland schwerer zu halten ist, weil die Debatte zugleich rassistischer und antisemitischer wird. In der Linken nehmen wir eine gestiegene Erwartung zur Vereindeutigung der Position wahr, während die Staatsräson[2] immer energischer durchgesetzt wird.

Doppelte Solidarität bedeutet für uns vor diesem Hintergrund konkret:

Friedenspolitik

Die Haltung der doppelten Solidarität ist insbesondere in Zeiten, in denen sich der Konflikt gewaltsam zuspitzt, eine friedenspolitische. Friedenspolitisch heißt nicht, von allen moralisch einzufordern, Frieden zu schließen; sondern strategisch in jedem Schritt darauf hinzuwirken, dass die Bedingungen für Frieden geschaffen werden. Der Nahostkonflikt ist aus unserer Sicht ein vor allem entlang ethnisch-nationaler Linien geführter Konflikt[3] um Land. Deshalb muss unsere erste Aufgabe sein, unsere Partner*innen vor Ort zu unterstützen, die Gewaltspirale zu durchbrechen und das beginnt mit der Verweigerung, nationale Interessen mit den Interessen der Bevölkerung gleichzusetzen und Solidarität an ethnische und vor allem nationale Zugehörigkeit zu koppeln. Das bedeutet auch in unserer Bildungsarbeit eine klare Position gegen die Aufhebung der Trennung von Zivilgesellschaft und Militär zu beziehen, wie sie der Logik von ethnischen Konflikten immanent ist.

Bildungsarbeit und Lernprozesse

Ein zentrales Problem im Nahostkonflikt sind rassistische und antisemitische Ideologien, die durch die Eskalation immer wieder befeuert werden und ihrerseits die Gewalt weiter vorantreiben. Als Erziehungs- und Bildungsverband ist dies eines der zentralen Felder, in dem wir einen Unterschied machen können – sowohl in unserer Bildungsarbeit in Deutschland als auch in der Unterstützung unserer Partner*innen. Hier kann unsere Solidarität konkret werden. So schwer die Bildungsarbeit in diesem Bereich ist, so notwendig ist sie auch. Sie erfordert einerseits ein hohes Maß an positivem Wissen und andererseits große pädagogische Kompetenzen, um mit diesem emotionalen, komplexen und konfliktbehafteten Thema umzugehen. Als Verband müssen wir unsere Kompetenzen in beiden Bereichen ausbauen. Es braucht sowohl mehr inhaltliche Auseinandersetzung mit der jahrzehntelangen Konfliktgeschichte und der Geschichte von linken Kräften im Nahen Osten, als auch friedenspädagogische Weiterbildung. Um diese zu gewährleisten bietet der Bundesverband im Rahmen des Nahostvernetzungsseminars ein entweder integriertes oder parallel verlaufendes Bildungswochenende an. Dieses soll sowohl der inhaltlichen als auch der pädagogischen Weiterbildung dienen und richtet sich an Alle ab 15 Jahren (SJ).

Wir beobachten in unserem sozialen und politischen Umfeld, sowie im gesamtgesellschaftlichen Diskurs verkleinerte Meinungskorridore, verhärtete Fronten und einseitige Positionierungen bezüglich des Nahostkonflikts. Entgegen dieser Tendenzen, auch in der linken Szene, müssen wir sicherstellen, dass Diskussionen, kritische Nachfragen und die Entwicklung politischer Forderungen ohne Angst vor etwaigen Repressionen oder Ausschluss, und ohne Vorgabe der einen legitimen Position möglich sind. Ein zentraler Aspekt für unsere sozialistische Praxis ist, dass wir ernsthaft verstehen wollen, aus welcher Position heraus Akteure in diesem Konflikt handeln. Ein Verständnis für die politische Lage im Nahen Osten ist die Voraussetzung für die Entwicklung friedenspolitischer Strategien.

Die Ermöglichung von Diskussionsräumen innerhalb des Verbandes und das Aushalten von Differenzen sowohl zwischen uns als auch mit unseren Partner*innen gehört dabei notwendig zu unseren Bildungsprozessen. Diese Differenzen sind kein Manko, sondern Bedingung eines Lernprozesses. Als Bildungsverband müssen wir dabei eine solidarische Diskussionskultur schaffen, in der Nachfragen willkommen sind und Differenzen produktiv bearbeitet werden können.

Trotz Alledem

Grundlage dafür soll unsere Position der Doppelten Solidarität sein, die einen Fokus auf progressive, linke und sozialistische Kräfte lenkt und ein Leben in Freiheit und Sicherheit für alle Menschen in Israel und Palästina, unabhängig von ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit, zum Ziel hat. Das heißt auch, dass wir uns klar gegen Ideologien stellen müssen, die meinen, der Konflikt entstünde aufgrund von vermeintlichen kollektiven Eigenschaften von als homogen konstruierten Gruppen. Solche Essentialisierungen verhindern Annäherung und Dialog.

Für all das ist unsere Position der Doppelten Solidarität handlungsleitend. Wir Falken stehen solidarisch an der Seite unserer Schwesterorganisationen und Partner*innen in Israel und Palästina! Uns ist klar: Doppelte Solidarität ist dabei nicht die einfachste Position, die man einnehmen kann. Doppelte Solidarität bedeutet auch, Widersprüche auszuhalten und produktiv zu bearbeiten.

[1] https://www.wir-falken.de/de/entry/2013-pos-doppelte-solidaritaet

[2] Zur Auseinandersetzung mit der Staatsräson siehe auch das Thesenpapier „Darum Doppelte Solidarität“ von Dezember 2023, These 5.

[3] Wir beziehen uns auf das Dorsch-Lexikon der Psychologie. Ein ethnisch-nationaler Konflikt wird definiert als Konflikt zwischen Gruppen, die sich durch Merkmale ethnischer Identität unterscheiden. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/ethnischer-konflikt Passend zum Thema sei auch der Artikel von Tom Würdemann zur Kontroverse der Antisemitismus- Definitionen benannt: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antisemitismus- 2024/549358/israel-und-der-antisemitismus/


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