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30.07.2004

Auftakt. Die Anfänge der deutschen Arbeiterjugendbewegung.

Neues Buch zur Gründungsgeschichte 1904 bis 1906 erscheint im neuen Jahr.

Ansicht des Titelbilds
Ansicht des Titelbilds

Als sich 1904 in Berlin und Mannheim Lehrlinge und junge Arbeiter erstmals in der Geschichte in Arbeiterjugendvereinen zusammenschlossen, galt dies den meisten Zeitgenossen als eine Ungeheuerlichkeit. Der Obrigkeitsstaat versuchte sie zu bekämpfen, die christlichen Jünglingsvereine beschimpften und verleumdeten sie und auch etliche Arbeiterbewegungsfunktionäre betrachteten diese womöglich nur schwer zu kontrollierenden "Sonderorganisationen" zurückhaltend oder gar argwöhnisch.

Gegen all diese Widerstände behaupteten sich die Jugendvereine unerwartet erfolgreich. Überraschend viele junge Leute besuchten ihre Bildungs- und Diskussionsveranstaltungen, beteiligten sich an ihren Ausflügen und ihren kulturellen und geselligen Aktivitäten.

Das Erfolgsrezept: In den Vereinen erfuhren die Jugendlichen Unterstützung und Solidarität

Sie fanden dort, was sie in ihren anderen Lebensbereichen vermissen mussten: In der Lehre oder bei der Arbeit galten sie nichts, dienten als Prügelknaben oder wurden als billige Arbeitskräfte geschunden.

In den Arbeiterjugendvereinen konnten sie sich ernst genommen fühlen und ihre spärliche Bildung verbessern. Sie konnten sich Deutungsmuster für die Gesellschaft, die sie umgab, erarbeiten, sie erhielten Hilfe bei der Vertretung ihrer wirtschaftlichen Interessen und sie spürten die Solidarität und Unterstützung der anderen organisierten Arbeiterjugendlichen und der Organisationen der Arbeiterbewegung.

Die Arbeiterjugendvereine ermöglichten den organisierten Arbeiterjugendlichen, ein kollektives Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das war ihr eigentliches Erfolgsrezept, vor allem darum strömten ihnen Arbeiterjugendliche in Massen zu. 1914, kurz vor dem Ersten Weltkrieg gab es im Deutschen Reich etwa 100.000 Abonennten der Zeitung "Arbeiter-Jugend". Schon aus dieser Zahl wird ersichtlich, wie rasch die Arbeiterjugendbewegung innerhalb eines Jahrzehnts gewachsen war.

Diese Erfolgswelle schürte bei Vertretern des wilhelminischen Obrigkeitsstaates die Sorge, diese neue Bewegung könnte gar "die Throne wanken und krachen", lassen, wie die erzreaktionäre "Kreuz-Zeitung" Anfang 1905 sorgenvoll vorhersah.

Der Autor befragt die Originalquellen neu

Roland Gröschel, der in den 80er Jahren als Referent für Grundsatzfragen und Bildungsarbeit und Redakteur der "Schlaglichter" im Bundesvorstand der SJD - Die Falken mitarbeitete und im Verband u.a. als Mitautor der "Bilder der Freundschaft" bekannt ist, hat anlässlich des hundertjährigen Gründungsjubiläums erneut in den zeitgenössischen Quellen in Berlin, Mannheim und Hamburg recherchiert.

Während die Forschung zu den Entstehungszusammenhängen der Arbeiterjugendbewegung bisher vor allem die wirtschaftliche Not der Arbeiterjugendlichen und Lehrlinge als entscheidende Motivation für die Gründung von Arbeiterjugendvereinen hervor hob, bezieht der Autor auch gesellschaftliche, kulturelle und sozialpsychologische Faktoren in seine Interpretation ein.

Umfassender Interpretationsrahmen

Im Unterschied zu den bisher gängigen Interpretationen zeigt der Autor, dass die frühen Arbeiterjugendvereine so "jugendlich-autonom", wie sie oft geschildert wurden, gar nicht waren. Auch verhielten sich die Erwachsenenorganisationen der Arbeiterbewegung nicht durchgängig so ablehnend und skeptisch wie oft behauptet. Vielmehr konnten die Arbeiterjugendvereine auf örtlicher Ebene oft auf Wohlwollen und praktische Unterstützung von Seiten ihrer organisierten erwachsenen Klassengenossen bauen. Ohne die Mithilfe von (jungen) Erwachsenen und den örtlichen Netzwerken und der Infrastruktur der Arbeiterorganisationen hätten sie nicht in so kurzer Zeit zu einer Massenbewegung anwachsen können. Skeptisch standen ihnen vor allem die Organisationsspitzen von SPD und Gewerkschaften gegenüber.

Biografische Skizzen

Der Autor hebt die Bedeutung einzelner Personen hervor, meist jüngere Erwachsene, manchmal auch ältere Jugendliche, die bereits Erfahrungen in der Arbeiterbewegung gesammelt hatten und die ihre organisatorischen und rhetorischen Fähigkeiten für die Arbeiterjugendvereine einsetzten oder als politische Identifikationspersonen fungierten. In biografischen Skizzen werden einige dieser heute oft schon vergessenen Persönlichkeiten vorgestellt.

Vorgeschichte der Arbeiterjugendbewegung

Neben der detaillierten Beschreibung der Arbeiterjugend-Initiativen in Berlin, Mannheim und Hamburg beleuchtet der Autor ausführlich die Vorgeschichte der Arbeiterjugendvereine, jugendliche Gesellungen in der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts, die Bildungs- und Erziehungsdiskussion in der Sozialdemokratie, die Jugendschriftendebatte und die Gründungen einer Vielzahl von Arbeiterkulturorganisationen vor allem in den 1890er Jahren.

Gesellschafts- und kulturgeschichtlicher Kontext

Zudem verortet der Autor die Gründung der Arbeiterjugendvereine in das kulturgeschichtliche Umfeld der Zeitenwende um 1900, die mit dem Ersten Weltkrieg schließlich das Ende des "alten Europa" besiegelte.

Hamburger Jugendbund als dritter Gründungsnukleus

Erstmals bezieht der Autor neben dem Mannheimer und dem Berliner Arbeiterjugendverein, die gemeinhin als die beiden entscheidenden Gründungskerne gelten, den im Oktober 1905 gegründeten Hamburger Jugendbund ("Jugendbund, Unterabteilung des Fortbildungsvereins für Barmbeck, Uhlenhorst und Umgebung") in den Kreis der "Gründungsvereine" ein.

Drei Organisations-"Typen" von Anfang an

Somit bildeten sich, so die These des Autoren, im Gründungsprozess der Arbeiterjugendbewegung drei Organisations-"Typen" heraus, die in den nachfolgenden Jahrzehnten die Nachfolgeorganisationen der ersten AJ-Vereine zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Intensitäten prägten:

  • der Verein Junger Arbeiter Mannheims als ausgesprochen politisch agierende Organisation (die vergleichsweise liberalen Vereinsgesetze Badens
  • ließen das zu), die sozialistische Bildung und politische, vor allem antimilitaristische Agitation gleichermaßen betrieben und stark vom Charisma des "Shooting Stars" der Mannheimer SPD, Ludwig Frank, zehrte;
  • der Verein der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter Berlins, in dem auf Selbständigkeit bedachte Lehrlinge und junge Erwachsene den Ton angaben und neben Bildung und Geselligkeit vor allem die wirtschaftliche Interessenvertretung von Lehrlingen und Jungarbeitern in den Vordergrund schoben, wobei ihnen das preußische Vereinsgesetz jegliche politische Diskussionen und Tätigkeiten untersagte. Dennoch betrachtete sich der Berliner Verein intern und verdeckt als durchaus politisch, der sich jedoch aus rechtlichen Grünen nicht offiziell dazu bekennen durfte;
  • der Hamburger Jugendbund, bei dem sehr stark im Vordergrund stand, was bei den anderen beiden Vereinen in Mannheim und Berlin immer auch, aber eben unter anderem, unverzichtbarer Teil des Vereinslebens war: Bildung und Geselligkeit, organisiert jedoch im Rahmen eines Vereines von Erwachsenen.

Der Buchinhalt

  • Einleitung.

Vorlauf

  • Diskussionen in der Sozialdemokratie
  • Jugendschriften
  • Jugendsport
  • Jugendbildung und örtliche Jugendvereine

Auftakt

Das Umfeld.

  • Fin de Siecle: Jugend und Gesellschaft vor der Zeitenwende
  • Kirchliche und bürgerliche Jugendpflege
  • Bürgerliche Jugendbewegung und Lebensreform
  • Internationale Vorbilder

Die süddeutsche Richtung.

  • Der Ausgangspunkt Mannheim - Stadt und Arbeiterbewegung
  • Der Gründerkreis
  • Der Verein der jugendlichen Arbeiter Mannheims
  • Ausdehnung und Bedeutung

Die norddeutsche Richtung.

  • Der Ausgangspunkt Berlin - Stadt und Arbeiterbewegung
  • Der Gründerkreis
  • Der Verein der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter Berlins
  • Ausdehnung und Bedeutung

Die Hamburger Richtung.

  • Der Ausgangspunkt Hamburg - Stadt und Arbeiterbewegung
  • Der Gründerkreis
  • Der Hamburger "Jugendbund von Barmbeck, Uhlenhorst und Umgebung"
  • Ausdehnung und Bedeutung

Ausblick

Anhang

  • Chronik
  • Personen
  • Vorstände
  • Dokumente
  • Rückblicke und Wertungen
  • Archivalien
  • Gedruckte Quellen
  • Literatur

Wissenschaftlich fundiert und flüssig und interessant geschrieben

Der Autor stützt sich vorwiegend auf die zeitgenössischen Quellen und liefert ein akribisch recherchiertes und wissenschaftlich fundiertes Werk. Dabei verfällt er jedoch nicht in "akademischen Jargon" sondern formuliert gut lesbar, für Fachhistoriker wie für alle am Thema Interessierten gleichermaßen anregend und interessant. Im Anhang an den Hauptteil ermöglichen eine Chronik, eine Übersicht über die Lebensdaten und -wege wichtiger Personen sowie einer Zusammenstellung zentraler Dokumente eine rasche Orientierung. Dass die Bewertung der Arbeiterjugendbewegung sowohl vom politischen Standort wie von den Zeitumständen abhängig ist, zeigen die Dokumente aus den zwanziger bis neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die wertend auf die Arbeiterjugendbewegung und ihr Leistungen zurück blicken. Abbildungen und Faksimiles visualisieren das historische Kolorit.

Autor und Buchgestalter

Roland Gröschel forscht und publiziert seit Mitte der achtziger Jahre auch über die Geschichte der Arbeiterjugendbewegung (u.a. Mitautor von Bilder der Freundschaft", mit Heinrich Eppe: "Kleine Chronik der Arbeiterjugendverbände" und "Zwischen Tradition und Neubeginn" zur Nachkriegsgeschichte der Falken). Er betreibt bei Berlin einen bundesweit tätigen Wissenschaftsservice ( www.einsteinchen-wissenschaftsservice.de ), der sozial- und geschichtswissenschaftliche Dienstleistungen anbietet (biografische Forschung, Evaluationsforschung, qualitative und quantitative Sozialforschung). Ehrenamtlich ist er Geschäftsführer des POSOPA e.V., der vorwiegend historische Sozialisationsforschung betreibt und in dessen Schriftenreihe u.a. Erinnerungen aus der Arbeiterjugendbewegung erschienen sind ( u.a. die des letzten Berliner SAJ-Vorsitzenden Erich Schmidt: Meine Emigrantenjahre, Heinz Westphal: Jugend braucht Demokratie - Demokratie braucht Jugend, Willi Zahlbaum: Aufrecht gehen. Aus der Lebensreise des Kreuzberger Arbeiterjungen Willi Zahlbaum. Infos: info@posopa.de )

Die Buch-Gestaltung hat der am Bauhaus in Dessau ausgebildete Grafiker Gerd Beck aus Leipzig übernommen post@beck-designer.de . Durch seine gestalterische Arbeit im Rahmen von "Hundert Jahre Sozialistische Jugend" hat er sich bei den Falken bereits einen Namen gemacht.

Weitere Infos und Bestellungen

Das Buch erscheint voraussichtlich 2005. Es kann bereits jetzt bestellt werden. Weitere Informationen über das Buch und Bestellungen bei: info@posopa.de .

Termine

05.06.2024, 19:00 bis 05.06.2024, 21:00

Rote Pädagogik: Kindeswohlgefährdung – 5. Juni
Veranstaltungsreihe Rote Pädagogik – Sozialistische Erziehung im 21. Jahrhundert

07.06.2024, 18:00 bis 09.06.2024, 13:00

Frauentheorieseminar – 7. bis 9. Juni
Das Thesenpapier beschäftigt sich dieses Jahr mit Frauen im Sozialismus.

06.09.2024, 18:00 bis 08.09.2024, 13:00

Fempowerment – 6. bis 8. September
Das Seminar für Mädchen und Frauen aus dem Verband

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