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Ende der Arbeitsgesellschaft?!

Ende der Arbeitsgesellschaft?!

Wie die "Arbeitsgesellschaft" weiter lebt, aber die existenzsichernden Jobs immer weniger werden (Artikel aus AJ 1-2003)

Nehmen wir zum Beispiel meine Freundin Marion. Marion hat mal Drucker gelernt. Aber wo gibt es heute noch so richtig alte Druckmaschinen? Und wenn, wer lässt die schon von einer Frau bedienen? Marion wurde also arbeitslos.

Deshalb hatte sie sich vor ein paar Jahren entschlossen, doch noch das Abitur zu machen und zu studieren. Die Zeiten wurden ja auch nicht besser, und AkademikerInnen finden immerhin ein bisschen leichter als andere einen Job.

Jetzt ist Marion Politologin. Aber wer gibt schon einer 35jährigen Politologin einen Job? Deswegen bekommt Marion jetzt Sozialhilfe und fühlt sich zwar lebenserfahren und hochqualifiziert, aber nutzlos.

Geht unserer Gesellschaft die Arbeit aus?

Trotz Wirtschaftswachstums nimmt in der BRD die Zahl der in einem existenzsichernden Lohnarbeitsverhältnis stehenden Menschen ab. Anscheinend brauchen wir einfach nicht mehr so viele Menschen, die malochen gehen.Nicht schlecht eigentlich. Denn wer steht schon gerne in der Fabrik? Wär doch prima, wenn Maschinen jetzt unsere Arbeit tun könnten, während wir ein gutes Buch lesen oder mit der kleinen Nachbarstochter spielen. Wenn wir unsere Arbeitskraft nicht mehr verkaufen müssten, sondern selbstbestimmt über unser Tätigsein entscheiden könnten!

Aber nein, stattdessen schallt es von überall her: „Wer essen will, muss auch arbeiten!“ Ohne Lohnarbeit sind wir in dieser Gesellschaft angeschmiert: Einkommen ist weitgehend an eine Arbeitsstelle gekoppelt und wer keine hat, der wird außerdem noch oft als Faulpelz oder Versager angesehen und fühlt sich selbst auch so.

Marion hat jetzt doch einen Job

Sie pflegt eine alte Frau aus der Nachbarschaft für fünf Euro in der Stunde – schwarz natürlich. Mit Pflege kennt sie sich ein bisschen aus, denn ihre eigene Mutter musste sie auch schon versorgen, als die nach ihrem Krebs lange nicht wieder hoch kam. Wenn die Tochter der alten Frau allerdings ein schlechtes Gewissen hat, nimmt sie sich frei und kümmert sich selber um ihre Mutter. Dann hat Marion wieder mal kein Geld und muss sich zum Bier einladen lassen, wenn sie in die Kneipe geht.

Die Lohnarbeit geht uns leider nicht aus

Was zu Ende geht, ist nicht die Arbeitsgesellschaft, sondern eine spezifisch historische Gestalt des Kapitalismus in den westlichen Industrieländern, die gemeinhin als sozialstaatlicher Fordismus bezeichnet wird. Im Fordismus gingen meist Männer einer existenzsichernden Lonhnarbeit nach, die ihnen und ihren Familien ein zumindest vordergründig angenehmes Leben ermöglichte. Soziale Bereiche wie Erziehung und Altenpflege, wurden teilweise vom Staat organisiert und finanziert.

Doch dass es immer schwerer wird, einen existenzsichernden Job zu finden, bedeutet ja nicht, dass es keine Lohnarbeit mehr gäbe. Nur die Art der Ausbeutung der Arbeitskraft ändert sich. Lohnarbeit findet immer mehr in ungesicherten, zeitlich begrenzten, tariflich nicht geschützten Beschäftigungsverhältnissen statt.

Das gilt auch für die früher staatlich organisierte Arbeit im sozialen Bereich. Für die meisten Einrichtungen in diesem Bereich (z.B. Pflegedienst) gilt: Entweder werden sie abgebaut oder privatisiert und damit für die meisten unbezahlbar. Der Umbau in diesem Bereich trifft vor allem Frauen: Einerseits waren viele Frauen hier beschäftigt und verlieren nun ihren Job, andererseits gilt soziale Arbeit immer noch als typische, quasi natürliche „Frauentätigkeit“. Weil diese Tätigkeiten ja nicht einfach wegfallen können, werden sie daher weiterhin von Frauen ausgeführt – nur leider meist un(ter)bezahlt und nicht als Arbeit anerkannt.

Wem diese Entwicklungen nützen und von wem sie vorangetrieben werden, liegt auf der Hand: Wenn jeder Job besser ist als kein Job, wie Clinton es vor einigen Jahren formulierte, wenn die Menschen jeden Job annehmen müssen, weil sie sonst keine Existenzgrundlage mehr haben, wie es die Hartz- Pläne vorsehen, wenn die Arbeitskraft immer billiger wird, dann steigen die Profite der Reichen, während die Armen immer ärmer werden.

Ende der Arbeitsgesellschaft?

„Ja super!“, sagt meine Freundin Marion. „Wann fangen wir damit an?“ Sie meint damit nicht, dass sie den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen möchte. Träumerisch schwärmt sie mir vor: „Arbeitsgesellschaft, damit ist heute eine Gesellschaft gemeint, in der die Menschen einer Lohnarbeit nachgehen müssen, um überleben zu können. Aber wenn das erst mal vorbei ist! Dann ist die Erwerbsarbeit gar nicht mehr so wichtig! Niemand würde auf die Idee kommen, sich über seinen Job oder womöglich über sein Einkommen zu definieren! Wir würden ja auch alle viel weniger lohnarbeiten, vielleicht eine Woche im Monat, damit alles funktioniert, wie es funktionieren soll! Hausarbeit, Kindererziehung und soziale Kontakte haben einen viel höheren Wert! Männer und Frauen laufen zusammen mit ihren Kindern über blühende Blumenwiesen, während die Omma im Rollstuhl hinterherrollt!...“

Jaja, eine Träumerin, meine Freundin Marion

Denn wer will schon so eine Welt? Sicher nicht die Herrschenden, und sicher nicht die derzeit amtierende Regierung, die den Sozialstaat aushebelt und die Arbeitsverhältnisse in vielen Bereichen den Interessen des Kapitals anpasst. Wer heute behauptet, die Arbeitsgesellschaft sei am Ende, der übersieht zynisch die große Masse der Bevölkerung, die unter immer härter werdenden Bedingungen einer Lohnarbeit nachgehen muss, hier und auch im Rest der Welt.

Aber wessen Welt ist die Welt...!

Autorin: Sophie Jänicke, Mädchen- und Frauenpolitische Kommission, LV Berlin, in: AJ - die Andere Jugendzeitschrift, Heft 1, 2003

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