Irak Krieg
Rot-Grün hat in der Irak-Frage aus dem Kosovo-Krieg gelernt? vorläufig!
Anfang August hieß es erstmals: Eine deutsche Beteiligung an einem Krieg im Irak wird es nicht geben. Gerhard Schröder ist dafür stark angegriffen worden - von denjenigen, die fanden, dass er sich von der "transatlantischen Solidarität" mit den USA verabschiede und damit schweren diplomatischen Schaden anrichte; von Gegnern, die fanden, Außenpolitik dürfe im Wahlkampf keine Rolle spielen und umgekehrt; und von denjenigen, die nicht glauben, dass Rot-Grün dieses Versprechen einhält, wenn es zum Krieg kommt.
Von der Opposition wird Schröder als Populist beschimpft, und die PDS ist daran verzweifelt, dass er ihr mitten im Wahlkampf auch noch das Friedens- Thema weggenommen hat. Nationalistisch finden manche sogar die Absage an eine Irak-Intervention und warnen vor einem deutschen Sonderweg.
Warum also diese deutliche Festlegung: Populismus, Pazifismus, Nationalismus? Wenn in der Bundesrepublik über Krieg geredet wird, ist seit 1999 immer auch die Rede vom Kosovo. Aber auf diese Verbindung kommt anscheinend niemand: Dass die Regierung Schröder/ Fischer aus dem Kosovo-Krieg gelernt haben könnte.
Am 17. September 2002 stimmte der Irak der Rückkehr von UN-Kontrolleuren zu, die mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen haben. Ein Dritter Golfkrieg ist damit jedoch nicht abgewendet: Für die USA ist die Gegnerschaft zum Irak eine Prestigefrage und für das Timing einer Intervention zählen in Washington weniger der Fortgang der Rüstungskontrollen als die Ansicht, dass ein Krieg in der Wüste nur vor Frühlingsbeginn geführt werden kann - wie 1991. Die NATO-Verbündeten der USA werden unter Druck gesetzt. Ist die deutsche Weigerung, sich an einem Irak-Krieg zu beteiligen, nur eine Hypothek aus dem Wahlkampf, an die sich dummerweise noch alle erinnern? Für die Regierung Schröder/Fischer war die Kriegsfrage während des Wahlkampfs ein Déjà-vu-Erlebnis.
Ein Blick vier Jahre zurück lohnt sich: Die Kohl-Regierung hatte seit Ende 1997 in allen wichtigen internationalen Organisationen und Gremien daran gearbeitet, die Kosovo-Frage zu internationalisieren. Im Laufe des Wahljahres wurde die Drohung mit einer Intervention immer deutlicher. An die Adresse des jugoslawischen Präsidenten Milosevic sagte der Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP): "Dies ist nicht nur eine innere Angelegenheit Ihres Landes. Vielmehr haben wir Deutschen daran, auch wegen der Bosnien-Flüchtlinge, zu Recht ein ganz besonderes Interesse"
Als es auf die heiße Wahlkampfphase zuging, legte Kinkel schon wesentlich aggressiver nach: "Nach meiner Auffassung führt letztlich kein Weg an Zwangsmaßnahmen gemäß Kap. VII der UN-Charta vorbei", "von großer Bedeutung" sei dabei die Prüfung militärischer Optionen durch die NATO. Weder Opposition noch Regierung waren sich einig. Kinkel wollte nur mit der UNO, dem CDU-Verteidigungsminister Rühe war sie unwichtig, Kohl vertrat abwechselnd beide Positionen. In der SPD forderte Rudolf Scharping, der Westen dürfe nicht weiter tatenlos zusehen3 , Oskar Lafontaine bremste, und Gerhard Schröder überließ es anderen, sich die Finger zu verbrennen.
Dann gewannen SPD und Grüne am 27. September 1998 die Bundestagswahlen und schienen sich noch nicht ganz sicher zu sein, ob sie überhaupt das Recht haben, dieses Land zu regieren. Vaterlandsverrätertrauma. Die alte Regierung war zwar abgewählt, aber noch im Amt, während die neue Mehrheit im Bundestag sich noch nicht konstituiert hatte und Rot/ Grün miteinander über eine Koalition verhandelten. Und mitten in dieser Zeit zwischen zwei Regierungen drängten die USA auf eine Entscheidung in der NATO. Die Truppen des Bündnisses sollten in Bereitschaft versetzt werden, und kurz darauf wurde auch ein Einsatzbefehl für Luftangriffe gegen Jugoslawien verabschiedet. Die alte schwarz-gelbe Regierung stimmte zu und bekam dafür den Segen von Gerhard Schröder und Joschka Fischer. In einer außerordentlichen Sitzung des eigentlich abgewählten 13. Deutschen Bundestags am 16. Oktober stimmten fast alle SPDund viele Grünen-Abgeordnete für Luftangriffe. Allerdings sah es zu diesem Zeitpunkt so aus, als käme es nicht mehr dazu, weil sich die Lage entspannt hatte. Wirkt das bekannt? Der Eindruck drängt sich auf, dass alte wie neue Regierung nicht dachten, dass die Kriegsdrohung wahr gemacht wird.
Bei allem, was danach passierte, durfte die deutsche Außenpolitik nur noch mahnen, Verbesserungen sehen oder Solidarität mit den Verbündeten erklären. Einfluss hatte sie in dieser Zeit nicht; bei der Konferenz von Rambouillet im Februar/ März 1999 waren die Deutschen nur als Zaungäste geduldet. Und nachdem sie einmal einer Intervention grundsätzlich zugestimmt hatten, überrumpelte sie der Kriegsbeginn eher. Das soll keine Entschuldigung sein, wohlgemerkt: Am Anfang stand die politische Entscheidung, die militärische Drohung mitzutragen.
Es geht mir an dieser Stelle nicht darum, das Für und Wider einer Intervention zu diskutieren. Und ob Geschichte dazu da ist, aus ihr zu lernen, sei dahingestellt. Eines macht die Kosovo-Erfahrung jedenfalls deutlich: Wer mit Krieg droht, muss sich entschieden haben, ihn unter Umständen auch zu führen. Nur mal so drohen geht nicht in der internationalen Politik.
Das Ende vom Lied? Ja, natürlich hatten die Irak-Äußerungen etwas mit Wahlkampf-Absichten zu tun. Aber eines haben Gerd und Joschka wohl tatsächlich gelernt: Dass nur mit Krieg drohen kann, wer Krieg will. Rot-Grün hat sich diesmal dagegen entschieden. Vorerst.
1 Erklärung der Bundesregierung: Öffnung der Atlantischen Allianz für Polen, die Tschechische Republik und Ungarn. Abgegeben vom Bundesminister des Auswärtigen vor dem Deutschen Bundestag, in: Bulletin Nr. 22 (1998) v. 30. März 1998.
2 Kinkel zur aktuellen Lage im Kosovo. Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes v. 22. Juli 1998 (Auswärtiges Amt).
3 Vgl.: Uno beklagt Tod von Flüchtlingskindern im Kosovo/Deutsche Innenminister streiten über Flugverbot für jugoslawische JAT, in: Berliner Zeitung v. 16. September 1998 (BerlinOnline).
Nina Lepsius, KV Leverkusen