Zu Gast in Hannover
Israelische und palästinensische GenossInnen, 15. - 24 März 2002
Zu Beginn des Besuches in Deutschland bekamen unsere israelischen Gäste einen großen Bahnhof: Ca. 60 deutsche Jugendliche warteten schon im Forsthaus Halt. Das "Kunsthandwerkertreffen" war ein idealer Einstieg, um Sprach- und innerisraelische Barrieren zu überwinden, immerhin kamen 9 jüdische und 4 arabische Jugendliche, die sich zuvor in Israel erst zwei mal getroffen hatten.
Auffallend in diesen ersten Tagen ist, dass die jüdischen Jugendlichen, die in absehbarer Zukunft ihre Militärzeit vor sich haben, den israelischen Staat viel schärfer kritisieren, als die Araber, die politische Themen zunächst ehr meiden. Es ist das erste mal, das wir von jungen Israelis hören, dass sie noch nicht wissen, ob sie wirklich zur Armee gehen werden oder einen Weg suchen, daran vorbei zu kommen. Sie seien selbstverständlich bereit, ihr Land in einen Krieg militärisch zu verteidigen, jüdische Siedlungen in besetzten Gebieten zu schützen und eine Zivilbevölkerung zu unterdrücken dagegen nicht.
Auch die jüngeren Teilnehmer kommen auf ihre Kosten, Laura zeigt Tänze zu israelische Liedern, die zumindest einige von uns schon können, überall sieht man in den Pausen gemischte Grüppchen von Israelis, Falken und Wandervögeln, klönen oder zusammen herumtoben. Nachdem das Feuer am Abend zunächst trotz kräftigem Singen nicht anbrennen will, wird es dann doch ein langer Abend mit israelischen, deutschen und russischen Liedern, israelischen und deutschen Tänzen und langen Lagerfeuergesprächen zu später Stunde.
Die Abschlussrunde am Sonntagvormittag zeigt beachtliche Ergebnisse: Schöne Gläser sind aus alten Flaschen entstanden, Holzschalen wurden ausgebrannt, es wurde Papier hergestellt, mit Bleisatz und Linoleum bedruckt, Dosen und Tiere aus Papier gefaltet, Köpfe und Eidechsen aus Sandstein gehauen, Perlentiere gefädelt - eine eindrucksvolle Ausstellung.
Hannover:
Montag Früh beginnt das Programm in der Schule. Einleitende Worte, dann Kleingruppen. Die deutschen und israelischen Schüler sollen sich gegenseitig von ihrer Lebensrealität berichten. Was bedeutet es immer Angst haben zu müssen, wenn man einen Bus besteigt? Es könnte ja ein Selbstmordattentäter zusteigen. Was heißt es, in einem arabischen Dorf in Israel zu leben, sich als Bürger zweiter Klasse zu empfinden und sich gleichzeitig als junges Mädchen in der alten- und männerdominierten traditionellen arabische Gesellschaft zu behaupten. Wie verbringt man die Freizeit, welche Musik hört man - zum großen Teil dieselbe wie die Schüler aus Deutschland.
Am Abend sind wir bei der Palästinensischen Gemeinde zu Gast. Trotz der gespannten Lage zuhause ist der Empfang herzlich, es gibt gutes arabisches Essen. Das Gespräch dreht sich um die Probleme der Einwanderer ihren Kindern die arabische Sprache und eine Identität zu vermitteln, die einen Bezug zur alten Heimat aufweist.
Am folgenden Tag fahren wir nach Bergen Belsen, das Wetter passt zu dem Anlass, es regnet und es weht ein kalter Wind. Draußen an der Gedenkmauer entzünden wir Kerzen und stellen uns, Juden, Araber und Deutsche im Kreis zusammen. Es erklingt das ?Iskor?, das jüdische Totengedenken, nicht in seiner traditionellen religiösen Form, Haschomer Hazair hat einen säkularen Text mitgebracht. "S´brennt", ein Lied aus dem Getto wird in Hebräisch und Jiddisch gesungen. Ein Gedicht des jiddischen Dichters, Partisanen und Zeugen im Nürnberger Prozess Awraham Suzkever und ein deutsches vor Bert Brecht werden gesprochen. Anschließend sagt Neta einige Worte als junge Jüdin aus Israel und Sedan als Araber, dessen Volk von diesem Schrecken nicht unmittelbar betroffen ist. Er, der zuvor in der Dokumentenhalle und durch den Film erstmalig eine wirkliche Vorstellung vom Holokaust bekommen hat, drückt spontan sein Unverständnis und Mitgefühl aus. Die jüdischen Israelis stellen dann eine Verbindung zur heutigen Situation her: Leben ohne einen jüdischen Staat können sie sich nicht vorstellen, das Trauma der Vergangenheit darf aber nicht dazu führen, den Palästinensern um der eigenen Sicherheit willen einen lebensfähigen Staat zu verweigern.
In Celle berichtet uns Dorit, die Vorsitzende der Liberalen Gemeinde Celle über die Geschichte der Synagoge - eine der ganz wenigen alten Synagogen in Deutschland, die 1938 nicht angezündet wurden - sie ist Israelin und vor 30 Jahren nach Deutschland gekommen. Es ist schwierig es für so eine kleine Gemeinde, die überwiegend aus Israelis besteht, den Kindern die eigene Kultur und Sprache zu vermitteln.
Berlin:
In Berlin kommt am Freitag früh Izchak Schwersenz zu uns in die Falkenvilla um als Zeitzeuge von seinen Erlebnissen zu berichten. Izchak, gebürtiger Berliner, war bis zu ihrer Schließung durch die Nazis Leiter einer jüdischen Auswandererschule und jüdischer Pfadfinder. Mit seinen Schülern floh er vor der "Verschickung nach dem Osten". Die Gruppe schlug sich im Berliner Untergrund 1 ½ Jahre durch. Er schildert auch die deutsche Gesellschaft und die wenigen mutigen Helfer, die das Überleben der Gruppe ermöglichten. Der lebendige - zweisprachig - vorgetragene Bericht schlägt alle in seinen Bann. Mit seinen 86 Jahren ist Izchak einer der letzten, die noch aus eigenem Erleben berichten können.
Am Abend, nach einer kleinen "Kabbalat-Schabbat-Feier" treffen wir uns zur Abschlussrunde. Die Israelis haben einen vielseitigen Einblick in das Leben von Jugendlichen in Deutschland erhalten, es sind Freundschaftsbande entstanden, die über diesen Besuch hinaus fortbestehen sollen. Mehrere Israelis äußern, dass neben dem "deutschen Programm" der Umstand, so lange und so eng in einer gemischten jüdisch-arabischen Gruppe zusammen zu sein, ein besonderes Erlebnis war das hoffentlich auch die gemeinsame Arbeit zuhause voran bringt.. Die deutschen Teilnehmer haben einen persönlichen Eindruck von der verfahrenen Situation in Israel erhalten, der jüdisch-arabische Konflikt hat Gesichter bekommen.
Kay Schweigmann-Greve, SJD Die Falken Hannover