11.10.2023
Pädagogisches Selbstverständnis der SJD - Die Falken
beschlossen im September 2023 durch die Delegierten der Bundesausschuss-Sitzung in Oer-Erkenschwick
Präambel
Der Folgende Text stellt einen aktueller Stand der Disskusion dar und ist kein Text für die Schublade. Die Diskussion um unsere Praxis, und damit auch unseres pädagogisches Selbstverständnis kann, wird und sollte niemals abgeschlossen sein. Wir wollen uns regelmäßig mit dem folgenden Text beschäftigen und Teile schärfen, aktualisieren, ergänzen oder verwerfen.
Zwei Dinge unterscheiden uns als Falken von den meisten anderen linken Organisationen. Erstens verbinden wir in unserer Praxis Pädagogik und Politik. Zweitens sind wir weder als Politgruppe noch als Partei, sondern als Verband organisiert.
Auch wenn wir uns gemeinsam auf den Begriff der Sozialistischen Erziehung beziehen, ist damit noch keine gemeinsame Strategie beschrieben.
Die Begriffe der Sozialistischen Erziehung stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Unsere Praxis hat sich seitdem weiterentwickelt, über viele Umwege und an vielen Orten unterschiedlich. Das ist nur konsequent, denn jede ernsthafte sozialistische Praxis lebt von ihrer Weiterentwicklung. Dennoch stellt sich die Frage, wie wir gemeinsam als Verband auf die erheblichen Schwierigkeiten des Neoliberalismus jetzt und in Zukunft reagieren.
1. Falken-Pädagogik im Wandel der Zeit
1.1. Zeltlager als Höhepunkt der Gruppenarbeit
a. "Die Gruppe macht's!" war und ist seit vielen Jahren ein zentraler Slogan der Falkenarbeit. Kontinuierliche Gruppenarbeit innerhalb derer das Zeltlager den jährlichen Höhepunkt darstellt ist einerseits Kern unserer pädagogischen Praxis, manchmal aber auch der unantastbare heilige Gral unseres Verbands. Seit den Anfängen der Falkenarbeit und den ersten Zeltlagern und Gruppenstunden, hat gesellschaftlich, und damit im Verband selbst, einiges verändert. Wir müssen anerkennen, dass es im Vergleich zu den frühen Anfängen unserer Gruppenarbeit in den 1920er Jahren weniger feste Gruppen gibt, obwohl funktionierende Gruppenstrukturen stets Verbandsziel sind und waren. Im Vergleich gibt es heute wieder mehr Falkengruppen als noch vor 20 Jahren. Aber die Gruppenarbeit hat sich verändert. In Anbetracht der veränderten Lebensrealität unserer Mitglieder müssen wir unsere pädagogische Praxis immer wieder anpassen.
b. Heute stellt das Zeltlager oft eine einmalige Veranstaltung mit vielen Teilnehmenden dar, die häufig nicht in einer festen Gruppe organisiert sind. Auch wenn im Laufe des Falkenjahres einige Ferienfreizeiten das Verbandsleben ergänzen, ist eine kontinuierliche pädagogische Arbeit in einer festen Gruppe an einigen Stellen nicht mehr gegeben. Daraus ergibt sich notwendigerweise Änderungsbedarf für unsere Praxis. Wenn wir also nicht von einem linearen Bildungsweg, beginnend in der F-Gruppe, anschließend in einer RF-Gruppe über eine selbstorganisierte SJ-Gruppe bis hin zur Funktionär*in ausgehen können, müssen wir unsere Pädagogik und Bildungsprogramm an die verschiedensten Bedürfnisse anpassen.
c. Eine Arbeiter*innenbewegung,die zuverlässig neue Gruppenkinder und Funktionär*innen an den Verband heranführt, besteht in Deutschland kaum noch. Wir müssen deshalb immer wieder unterschiedliche Gruppen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ansprechen. Damit bewegen wir uns in einem Spannungsfeld aus einer für einen Verband notwendigen etablierten Verbandskultur und der Offenheit gegenüber und Anschlussfähigkeit für junge Menschen, die nicht bei den Falken sozialisiert sind.
1.2 Umgang mit dem Alter
a. Trotz des vorangegangenen Problemaufrisses sind unsere Praxis und Arbeitsprofile in den verschiedenen Altersgruppen notwendigerweise an Vorstellungen über Persönlichkeitsbedingungen und Lebensrealität einer Altersgruppe geknüpft. Wie können wir also allen gerecht werden?
b.Die vorgeschlagene Alterseinteilung, welche sich in der genauen Bezifferung in den verschiedenen Gliederungen unterscheiden kann, ist für dieses Papier:
1. F-Alter: ab 6 -11 Jahre
2. RF-Alter: 12-15 Jahre
3. SJ-Alter: ab 16 Jahre
F steht dabei für Falken, RF für Rote Falken und SJ für Sozialistische Jugend.
Nicht selten sind SJ-Teilnehmer*innen gleichzeitig Helfer*innen im F-Bereich,
oder auch Funktionär*innen im Vorstand. Hieraus entstehen sowohl
Herausforderungen als auch Möglichkeiten.
1.3 Gegen die Trennung von Pädagogik und Politik
a. Pädagogik und Politik werden häufig getrennt diskutiert, trotz der Versuche, beides zusammen zu denken. Der F-Bereich gilt dann als der pädagogische, während die Politik im SJ-Bereich passiert.
b. Diese Trennung basiert auf einem in der Linken verbreiteten Missverständnis darüber, was es bedeute, "politisch zu sein": Politisch sei nur, wer "aktiv", also im Sinne von Tarifkämpfen, Demonstrationen et cetera am Konflikt um die Ausgestaltung der Gesellschaft teilnehme.
d. Die Falken sind sowohl im F-Ring als auch im SJ-Ring ein politischer Kampfverband. Sowohl die Pädagogik als auch die Bildungsarbeit sind insofern politisch, als dass sie einen spezifischen Teil gesellschaftlicher Auseinandersetzungen darstellen: Sowohl Pädagogik als auch Bildungsarbeit binden einerseits mehr Menschen in die sozialistische Bewegung ein und greifen andererseits mit selbstorganisierten Räumen und solidarischer Bildung die herrschende Ordnung der Konkurrenz an. Darüber hinaus bereiten sie uns auf konkrete Kämpfe außerhalb des Verbands vor. Pädagogisch-politische Aufgabe ist es daher ebenfalls, die individuellen Problemlagen der Menschen im Verband zu politisieren und diese in eine Praxis zu übersetzen, welche auch aus dem Verband hinaus in die Gesellschaft wirkt und dort Kämpfe beginnt oder an sie anknüpft.
e. Nicht nur die Trennung von Politik und Pädagogik ist daher falsch, auch die Trennung von Pädagogik und Bildungsarbeit ist keine absolute. Vielmehr zeigt sich, dass wir mit beiden Bereichen auf politische Auseinandersetzung vorbereiten. Bildung und Erziehung unterscheiden sich in Methodik und Herangehensweise, weshalb die Trennung organisatorisch Sinn ergibt. Aber in unserer täglichen Arbeit bilden und erziehen wir uns gegenseitig.
f. Als Sozialist*innen wissen wir, dass Vorbereitung und Auseinandersetzung nicht zeitlich getrennt ablaufen, sondern wir auch im Moment des Lernens bereits Teil des politischen Kampfes sind: Weil wir sozialistische Ideen lernen und nicht andere, weil wir nach sozialistischen Maßstäben versuchen zusammen zu leben und nicht nach anderen.
g. Es gilt, zwei falsche Alternativen zu vermeiden. Der Begriff des Politischen soll nicht so eng gefasst werden, dass nur noch theoretische Auseinandersetzung mit der Welt als politisch zählt. Gleichzeitig soll er nicht in eine Beliebigkeit zu verfallen, in der alles irgendwie politisch ist, so lange Linke es tun. Stattdessen müssen wir unsere pädagogische Praxis und Bildungsarbeit immer daran messen, wie sie in die Gesellschaft hineinwirken und was sie für die Einrichtung des Sozialismus jetzt und in Zukunft tun.
2. F-Alter
2.1. Lebensrealität
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Das Lebensumfeld von Kindern in F-Gruppen zeichnet sich sowohl durch den (abgeschlossenen) Übergang von KiTa oder Erziehung innerhalb der Familie in die Grundschule, als auch durch den Übergang in die weiterführende Schule aus. Für viele Kinder beginnt in dieser Zeit bereits die Sortierung nach Leistungsfähigkeit in allgemeine, bzw. segregierte Sonderstrukturen. Die Schule verändert den Alltag von Kindern in beiden Fällen drastisch. Dort kommen sie verstärkt mit dem kapitalistischen Verwertungszwang in Form von Noten, Leistungsdruck, und Disziplin in Berührun*. Auch wird zunehmend der Anspruch an sie gestellt, die persönlichen Bedürfnisse ins Verhältnis zu denen anderer zu stellen. Die Selbstständigkeit von Kindern steigt während dieser Zeit in aller Regel, sie übernehmen mehr Verantwortung.
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Innerhalb des F-Bereiches bewegen wir uns in einem Feld mit Kindern sehr unterschiedlicher Voraussetzungen. Während auf der einen Seite Kinder stehen, die gerade gelernt haben sich die Schuhe zu binden, stehen auf der anderen Seite Kinder die bereits mit öffentlichen Verkehrsmitteln in eine Nachbarstadt zur Schule fahren. Hinzu kommen ganz unterschiedliche soziale und ökonomische Vorbedingungen. Auch im Haushalt und in der Familie müssen vor allem Kinder aus prekären Verhältnissen mehr Verantwortung und Arbeit übernehmen. Dadurch entsteht teilweise eine Mehrfachbelastung, oft für weiblich sozialisierte Kinder.
b. In der Zeit des F-Alters verhandeln die Kinder gesellschaftliche Normen und Werte, die sie von zu Hause mitbringen oder die sie beginnen in der Schule mit Lehrer*innen und anderen Kindern zu verhandeln. In den Familien und auch der Schule machen viele Kinder die Erfahrung, dass Regeln, Normen und Werte, die durch Erwachsene gesetzt werden, kaum bis nicht verhandelbar sind. Oft kollidieren die Normen und Werte der verschiedenen Umgebungen der Kinder miteinander, auch bei uns. Die Kinder tragen einen inneren und äußeren Konflikt aus, der auch in unserer Falkenarbeit berücksichtigt werden muss. Die Aushandlungen unter den Kindern gestalten sich oft entlang bereits eingeübter Machtstrukturen, wie z.B. die Älteren sind die Chef*innen oder es gilt das Recht des*der physisch Stärkeren.
c. Dabei sind zu Beginn des F-Alters weiterhin meist Erwachsene die wichtigsten Bezugspersonen; sie dienen als Vorbilder und Vertrauenspersonen. Der fast ausschließliche Bezug zu Erwachsenen verändert sich zunehmend hin zu Gleichaltrigen. Diese werden aber selten unter selbstgewählten Bedingungen, sondern meist zuerst in der KiTa und dann in der Schule geschlossen. "Gruppe" ist für Kinder nach einigen Jahren oft mit den Erfahrungen aus Schulklassen geprägt und sie entwickeln schnell Strategien, sich in solchen Gruppen zu bewegen. Diese von Konkurrenz, Zwang und Verwertungslogik geprägten Gruppenerlebnisse führen zur Verinnerlichung dieser Strukturen und naturalisieren sie, wenn es keine alternativen Angebote gibt. Es ist daher wichtig, so früh wie möglich mit sozialistischen Gruppenerfahrungen dagegen zu halten. Diese stellen Solidarität statt Konkurrenz, Wertschätzung der Individualität statt Angleichung durch Disziplinierung, Freiwilligkeit statt Zwang, Gleichstellung aller Geschlechter durch Koedukation statt Verfestigung von Geschlechterrollen und Selbstorganisation statt Verwertungslogik und die Abkehr vom Prinzip des Rechts der Stärkeren bzw. Älteren in den Mittelpunkt.
d. Das F-Alter umfasst häufig auch den Wechsel von der Grundschule in die weiterführende Schule. Mit dem Schulwechsel werden Kindern aussortiert und in diesem Zuge unterschieden zwischen den „schlauen" Kindern, die aufs Gymnasium gehen und den „weniger schlauen" Kindern, die auf die Haupt- oder Realschule gehen. Diese Aussortierung anhand der schulischen Leistungen dient der Legitimation und Reproduktion der Klassengesellschaft unter dem Deckmantel der Leistungslogik. Sie wird dabei beeinflusst durch rassistische, sexistische und/oder sozialchauvinistische Vorstellungen der Lehrer*innen, die Kindern schmerzlich erfahrbar machen, dass eben nicht alle die gleichen Chancen und Perspektiven haben. Die vermeintlich "objektive" Aufteilung vermittelt den Kindern früh ihren Platz in der Gesellschaft, entweder als Hand- oder als Kopfarbeiter*innen; entweder als vermeintlich weniger wichtige Mitglieder der Gesellschaft oder als "Elite".
Kinder erfahren Klassenunterschiede anhand der Klassenposition ihrer Eltern (bestimmt nicht nur durch ihre finanziellen, sondern auch kulturellen und sozialen Ressourcen). Diese beeinflussen ihre Möglichkeit, in der Schule gute Leistungen zu erbringen. In der Gruppenstunde oder im Zeltlager sind insbesondere materielle Ungleichheiten für die Kinder klar erkennbar, z.B. in unterschiedlicher Ausstattung für das Zeltlager oder in unterschiedlichen Möglichkeiten für die Gestaltung von Gruppenaktivitäten. Die Klassenposition der Kinder wirkt sich zudem darauf aus, welche Aushandlungen und Aktivitäten in Gruppen bevorzugt werden und einfach fallen sowie darauf, wie Gruppe wahrgenommen wird. Die Rolle der Schule ist für Kinder vielseitig. Sie ist einerseits eine Zwangsgemeinschaft, andererseits auch ein wichtiger Ort für Freundschaften. Einerseits kann sie ein Ort solidarischer Erfahrungen sein und ist andererseits darauf angelegt sich durch gute Leistungen im Vergleich zur Konkurrenz Anerkennung zu „verdienen". Auch diese ist allerdings vom Elternhaus abhängig. Unsere Gruppen- und Bildungsarbeit steht vor der Herausforderung, diese unterschiedlichen Lebensrealitäten zu erkennen, anzuerkennen und unser Handeln entsprechend anzupassen.
e. Neben der Arbeit mit den Kindern selbst ist im F-Ring jegliche pädagogische Praxis immer mit Elternarbeit verbunden. Kinder befinden sich in einer Abhängigkeitsbeziehung zu ihren Erziehungsberechtigten. Die Gründe warum die Erziehungsberechtigten ihre Kinder bei den Falken anmelden sind unterschiedlich. Weil Ansprüche und Vorstellungen von Erziehung von den Eltern und uns Falken manchmalauseinander gehen, dürfen Eltern als Akteure nicht ausgeblendet werden. Auch den Eltern stehen wir politisch gegenüber. Wie ihre Kinder in der Schule, bewegen sich auch die meisten Eltern überwiegend in Kontexten, die durch Konkurrenz statt Solidarität geprägt sind. Als sozialistische Organisation versuchen wir auch die Eltern an die gleichen Prinzipien heranzuführen wie ihre Kinder und arbeiten solidarisch und unterstützend mit ihnen zusammen.
2.2 Persönlichkeitsbedingungen
a. Im F-Alter beginnt mit zunehmender Selbstständigkeit auch die Auseinandersetzung mit Autoritäten. Die Grundlagen für viele Verhaltensweisen gegenüber Autoritäten werden in diesem Alter gelegt. Wird Autorität bereits in jungen Jahren als hinterfragbar und kritisierbar erfahren, wird dies in späteren Jahren ebenfalls leichter fallen.
b. Die Identifizierung mit einem Geschlecht wird ab dem KiTa-Alter stärker und es entwickelt sich langsam eine Geschlechtsidentität. Die Kinder fangen an, sich mit den gesellschaftlichen Geschlechterkategorien Jungen/Mädchen zu identifizieren oder stellen fest, dass sie sich nicht in der binären Ordnung wiederfinden. Es wird immer wichtiger, sich voneinander abzugrenzen oder mit den gesellschaftlich gesetzten Grenzen zwischen Geschlechterrollen zu spielen. Aus diesem Grund ist geschlechtersensible Pädagogik wie feministische Mädchenarbeit wichtig.
c. Im F-Alter beginnt auch der selbstständige Umgang mit Medien. Kinder können sich zunehmend leichter außerhalb ihres Familienzusammenhangs informieren und Inhalte konsumieren, verschiedene Online-Trends (Spiele, Apps, Social-Media) werden identitätsstiftend. Gezielte, durch Algorithmen personalisierte Inhalte nehmen Einfluss auf Körperbilder, adressieren Kinder als Konsument*innen und in heteronormativen Geschlechterrollen und können zu dem Zwang zur Selbstoptimierung verstärken oder zu Konsumsucht führen. Gleichzeitig beginnt mit der ökonomischen Verwertbarkeit von Online-Aktivitäten die Entwicklung zum ökonomisch handelndem Subjekt in komplexerer Weise, als es früher beispielsweise über Taschengeld oder erste kleine Verdienstmöglichkeiten geschehen ist. Deswegen müssen sich zunehmend auch F-Gruppen Helfer*innen über Medienpädagogik Gedanken machen.
2.3. Pädagogische Ziele
Aus dieser Analyse ergeben sich folgende Hauptziele und Handlungen für den F-Ring:
a. Die solidarische Gruppenerfahrung ist der Kern unserer Pädagogik. Im F-Alter werden viele Grundlagen dafür gelegt, wie sich Kinder und Jugendliche im Laufe ihrer Jugend und oft ihres gesamten Lebens in Gruppen verhalten. Die sozialen Fähigkeiten, mit denen die Kinder in unsere Gruppen kommen, unterscheiden sich in diesem Alter von Kind zu Kind. Ziel ist im F-Alter daher zunächst die Vermittlung von einer gemeinsamen Grundlage des Verhaltens in Gruppen: Die eigenen Bedürfnisse herausfinden und formulieren sowie Unterschiedlichkeiten und Bedürfnisse Anderer nicht als Bedrohung der eigenen wahrnehmen, Streitpunkte offen und fair ansprechen, einen solidarischen Umgang mit Konflikten lernen und diese aushalten und austragen.
b. Die solidarische Organisationserfahrung und Selbstorganisation baut auf die Gruppenerfahrung auf. Sie unterscheidet sich aber vom agieren in der Gruppe und braucht andere Arten von pädagogischen Angeboten und tritt im Vergleich zu späteren Altersstufen hier noch in den Hintergrund. Im Gegensatz zur Gruppe muss auf der höheren Ebene des Verbands von den eigenen Bedürfnissen mehr abstrahiert werden, es müssen Interessen vertreten, Argumente abgewogen und Kompromisse gefunden werden. Während in der Gruppe möglichst alle für sich selber sprechen und daher unmittelbare Bedürfnisse verhandelt werden können, funktioniert Organisation oft durch Vertretung. Ein Einblick in die Ebene der Organisation ist in diesem Alter wichtig, so lernen Kinder möglichst früh, sich und andere zu vertreten und sich Aufgaben zuzutrauen. Insgesamt gilt es, hier pädagogische Angebote zu schaffen, die unsere Organisation, sei es beim Zeltlager oder im Ortsverband, für Kinder im F-Alter transparent und zugänglich machen, ohne sie zu überfordern. Dabei wollen wir darauf achten, dass nicht immer die Gleichen die Vertretung und Aufgaben übernehmen, sondern möglichst Viele diese demokratischen Erfahrungen machen. Während auch der bürgerliche Staat und seine Erziehungsinstitutionen formal Wert auf Demokratie legen, ist die Erfahrung, die Menschen im Kapitalismus machen allerdings, dass alle paar Jahre gewählt wird und sich real nie etwas ändert, weil der Großteil der Gesellschaft von Unternehmen gestaltet wird bzw. die grundlegende Organisation der Gesellschaft durch die Verteilung von Eigentum nie zur Wahl steht. Unsere Demokratieerfahrung muss gleichzeitig breiter und tiefer sein als die bürgerliche Demokratieerfahrung durch Bundestagswahlen oder in Schulen: Wir müssen mehr Kinder als die üblichen Verdächtigen erreichen und brauchen die Erfahrung realer Wirkmächtigkeit. Beides erreichen wir dadurch, dass unsere Demokratiemodelle einerseits an der konkreten Lebenswelt der Kinder ansetzen und andererseits demokratische Entscheidungen in tatsächlich relevanten Fragen zulassen: Demokratische Aushandlung der Gruppenraumgestaltung oder der Zeltlagerabläufe erreichen dann viel, wenn die Kinder nicht nur am Entscheidungsprozess beteiligt werden, sondern ihn grundlegend gestalten. F-Kinder sind dafür keineswegs zu jung, nur darf der Rahmen nicht zu abstrakt sein, sondern muss von ihren konkreten Bedürfnissen ausgehen. Wenngleich der Entscheidungsmodus für Kinder überschaubar sein muss, müssen sich Erwachsene in der Tragweite der Entscheidungen maximal zurücknehmen, keinen Rückgriff auf ihre Autorität nehmen und den Kindern auch andere Entscheidungen zugestehen als sie selbst getroffen hätten.
c. Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, bereits im F-Bereich Klassenbewusstsein zu vermitteln. Hierzu ist es unter anderem notwendig unseren Teilnehmenden zu ermöglichen, falsche Versprechungen und Spaltungsversuche von Autoritätspersonen zu erkennen und Mittel an die Hand zu geben, diese zu kontern. Zur Schaffung des Klassenbewusstseins ist es notwendig, schon in den F-Gruppen in alters- und lebensweltgerechter Weise mit politischer Bildung zu beginnen. Das heißt, ihnen anhand ihrer Erfahrungen in z.B. Schule, Elternhaus oder Stadtteil die Strukturen und Kritik an der Klassengesellschaft aufzuzeigen.
3. RF-Alter
3.1. Lebensrealität- Weiterführende Schule
a. Die weiterführende Schule ist das Lebensumfeld, in dem sich die Jugendlichen mit 12 bis 15 Jahren bewegen. Die ersten kapital-logischen Umformungen des Alltags sind abgeschlossen bzw. eingewöhnt (Leistungsgesellschaft und Konkurrenz). Die neue Schulform ist von einem Ausdifferenzieren geprägt. Einerseits für einen Arbeitsmarkt, andererseits auch der eigenen Identität. Beides lässt sich nicht getrennt voneinander denken.
b. Die gesellschaftlichen Erwartungen ändern sich auch in diesem Prozess. Es wird erwartet, dass die Jugendlichen schon eine gewisse Reife besitzen und eigenständig sind. Diese Erwartung ist allerdings gebrochen, denn gleichzeitig wird ihnen beides nicht wirklich zugetraut und die Eigenständigkeit abgesprochen. Diese ambivalente Verkettung von Erwartung und Realität doppelt sich auch bei den Teenagern auf schmerzhafte Weise. Sie schaffen Selbstbilder, deren Erwartungen sie nicht gerecht werden können und laufen mit voller Gewalt gegen ihre eigenen und gesellschaftlichen Grenzen.
c. Die Jugendlichen sind in diesem Alter noch immer von den Regeln in ihrer Familie und der Schule besonders abhängig, was die gesellschaftlichen Grenzen härter und die Spielräume enger macht. Die Abhängigkeit wird zunehmend spürbar und als Problem empfunden.
d. Diese Erfahrungen führen unter anderem dazu, dass die zentralen Bezugspersonen im Leben der Jugendlichen der eigene Freundeskreis werden. Diese Freundeskreise werden Ort des sozialen Ausprobierens. Selbstentwürfe, Bedürfnisverhandlung und Sozialbeziehungen sind dabei die zentralen Punkte mit denen experimentiert wird. Auch wenn es sich bei diesen Freundeskreisen nicht um von der Welt losgelöste Freiräume handelt, fühlt es sich zumindest so an. Dies liegt hauptsächlich daran, dass dort die Institutionen, zwischen die sich die Widersprüche im Leben der Jugendlichen aufhängen, Familie und Schule, nicht präsent sind.
e. Auch wenn der Freundeskreis eine immer größere Rolle im Leben der Jugendlichen spielt, bleiben Schule und Familie meistens die zentralen Institutionen in ihrem Leben. Auch die größeren gesellschaftlichen Zusammenhänge rücken immer weiter ins Blickfeld. Die Schule wird in den Kontext des Staates gesetzt und die Regeln der Eltern in den Kontext von gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Die Integration in die Ideologie des Kapitalismus wird stärker oder aber andersrum mehr hinterfragt. Dabei stellen die zu gewinnenden Freiheiten mit 16 und 18 das Verheißungsversprechen des endgültigen Befreiungsschlages gegenüber der Familie dar, dem die Jugendlichen entgegenfiebern. Diese Vorstellung ist insoweit richtig, als dass ihnen tatsächlich mehr Rechte zugesprochen werden (Alkoholkonsum, Geschäftsfähigkeit, unbegrenzte Ausgehzeiten) und , unterschiedlich gelungene Ablösungsprozesse ablaufen. Falsch ist diese Vorstellung natürlich insoweit, als dass später nur die doppelte Freiheit der Lohnabhängigkeit auf sie wartet. Auch wenn dies wohl in manchen familiären Zusammenhängen dennoch ein Fortschritt bedeutet, erfüllt sich dennoch nicht der Wunsch nachtotaler Freiheit und Selbstbestimmung.
f. Einen endgültigen Start- oder Endpunkt für den Prozess der Aushandlung bzw. Ablösung zu finden ist schwierig. Diese Prozesse verlaufen aufgrund von biologischen (Pubertät) als auch gesellschaftlichen Voraussetzungen wie finanziellem Hintergrund, Geschlechtsidentität etc. sehr individuell. Das heißt, es lassen sich mit der einen 12-jährigen Person ganz andere Dinge bearbeiten als mit der nächsten Gleichaltrigen.
3.2 Persönlichkeitsbedingungen
a. Körperliche Entwicklung
Die körperliche Entwicklung bei Jugendlichen stellt sie vor neue Herausforderungen und Unsicherheiten. Die Akzeptanz und Beziehung des und zum eigenen Körper ist dabei ein zentrales Thema.
b.Sexualität
In dieser Lebensphase findet der Übergang von einer kindlichen zu einer erwachsenen Sexualität statt. Das bedeutet, dass diese Phase von einer neuen sexuellen Orientierung geprägt ist.
Sie ist geprägt von Erfahrungen und Neuland, Unsicherheit, Selbstüberschätzung und Grenzüberschreitung bei sich selbst und bei anderen, von Lust und Schmerz.
c. Identitätsbildung
Das Kreieren der eigenen Identität ist wichtiger Bestandteil der jugendlichen Jahre. Äußeren Grenzen geben bestimmte Rahmen vor, in denen teils eine bewusste und teils eine vorbewusste Identitätsbildung möglich ist. Die Identitätsbildung im Kapitalismus ist von der mannigfaltigen Unterdrückung vom Unbewussten, Ausdifferenzierung von Inneren und Äußeren und der Spiegelung des Äußeren geprägt. Dabei hat Gender eine zentrale Rolle. Aber auch beispielsweise Subkulturen, Vorbilder, das eigene Kreieren einer Online-Identität über Social-Media, Freundeskreise, Hobbys, Organisationen, jede Form von Konsum etc. sind wichtige Faktoren. Uns als Helfer*innen muss bewusst sein, dass sich dieser Prozess im gesellschaftlichen Widerspruch bewegt und unsere Rolle nicht sein kann, dass wir dabei stehen bleiben, eine Identität bei Jugendlichen fördern, die uns am Besten passt. Identität ist wichtiger Bestandteil eines jedes Lebens, ist aber kein Ersatz oder Garant für eine richtige Kritik an der Welt. Die richtige Parole ersetzt kein Verständnis über die gesellschaftlichen Verhältnisse.
3.3 Pädagogische Ziele
Aus dieser Analyse ergeben sich folgende Hauptziele und Handlungen für die Arbeit im RF-Alter:
a. Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung
Pädagogische Aufgabe ist die vorbewussten Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung so bewusst wie möglich zu machen. Dazu gehört die Brechung gesellschaftlicher Ideologien auf persönlicher Ebene (ich muss so undso sein, fühlen, handeln). Darüber hinaus ist die Schaffung von bewussten Entscheidungsmöglichkeiten (was für alternative Konzepte zum denken/fühlen/handeln gibt es eigentlich?) und einer Mischung aus Zutrauen von Verantwortung und Verständnis fürs Scheitern notwendig. Dafür eignen sich am besten Räume mit transparenten aber auch festen Strukturen, die stetig neu verhandelt werden können.
b. Solidarische Gruppenerfahrung/ Freiraumgestaltung
Das Ziel unserer begleiteten Gruppenerfahrung muss sein, dass diese nicht nur als positiv wahrgenommen wird, weil Familie und Schule nicht da sind, sondern der Mehrwert eines bewusst gestalteten, sozialistischen Miteinanders deutlich hervortreten. Dabei sollte sich gut überlegt werden, welche konkreten Erfahrungen man als helfende Person organisieren will und wie man als sozialistische Organisation den eigenen sozialistischen Charakter gewährleistet. Denn eine bewusst gestaltete Gruppe ist erst einmal immer ein Mehraufwand: Plena, Konflikte offenlegen und aushandeln, das Versprechen unseres Grußes (Freundschaft!) bei Personen einhalten, die man vielleicht erst einmal gar nicht im engen Kreis haben möchte. Das alles sind anstrengende, voraussetzungsvolle Prozesse, die sich in der Gruppenerfahrung bezahlt machen und von einem Kollektiv getragen werden müssen. Dabei ist die Wortwahl keine zufällige, denn genau die Erfahrung der Bezahlung anderer für Dienstleistungen als vereinzelter Mensch ist die, gegen die wir uns in unserer Gruppenerfahrung stemmen müssen. Das ist natürlich einfacher, je jünger die Kinder (ökonomische Angewiesenheit, meist beschränkte ökonomischen Mittel) und je prekärer ihre Hintergründe sind. Dieser Punkt ist durchaus zu beachten, denn die Gruppenerfahrung beispielsweise eines regelmäßigen Essens bei dem für alle genug da ist, erreicht Kinder, bei denen das nicht der Normalfall ist ganz anders als Kinder, die immer teure, hochwertige Lebensmittel bekommen. Welchen konkreten Mehrgewinn die Gruppe darstellen kann, ist immer konkret zu evaluieren. Für die einen ist es der Freiraum, den ein Gruppenraum bieten kann und für andere die Sozialstruktur in der Sie so sein können, wie Sie wirklich sind.
c. Einordnung des eigenen Alltags in die Gesellschaft
Bei unserer Arbeit geht es um die Vermittlung einer gesellschaftlichen Kritik durch die und in der Auseinandersetzung mit den Erfahrungen des Alltags. All die Grenzen an denen Jugendliche sich stoßen müssen als solche benannt und bearbeitet werden, aber immer mit dem Lebensbezug, den die Jugendlichen auch haben. Wo der Anspruch an Theoriearbeit – dass sie immer mit dem konkreten vermittelbar bleibt – schon allgegenwärtig gilt, wird er hier zur zentralen Voraussetzung.
d. Sexualpädagogik
Die Gesellschaft ist immer noch heteronormativ eingerichtet. Dies liegt sowohl an bestimmten vorherrschenden Vorstellungen als auch in der materiellen Notwendigkeit der gesellschaftlichen Reproduktion – die Heteronormativität und Patriarchat sind keineswegs Naturgesetze, sondern Ideologien. Es gilt diese kritisch zu entlarven, die dort hinter stehenden Vorstellungen entschieden entgegenzutreten und pädagogisch andere Erlebnisräume zu ermöglichen. Deshalb ist Sexualpädagogik für unsere pädagogische Arbeit unabdingbar.
e. Erwachsen-Werden im Verband
Das RF-Alter ist die Altersspanne, in der unsere jüngeren Genoss*innen in den Verband hineinwachsen. Bestenfalls lernen sie ihre eigene Gruppe im Kontext von verbandlichen Strukturen kennen. Zum Ende der RF-Zeit entsteht ein tiefer gehendes Verständnis für den Verband und sozialistische Organisation. Diese Prozesse des Hineinwachsens in den Verband sollten durch gezielte Veranstaltungen, z.B. Junghelfer*innenschulung und RF-Fahrten zu anderen Falken-Gliederungen, gefördert werden. Nicht selten, fahren junge Genoss*innen im RF-Alter das erste Mal auf größere Verbandsveranstaltungen wie Konferenzen. Das soll ebenfalls durch ihre Gruppenhelfer*innen unterstützt und begleitet werden. Als sozialistische Organisation schaffen wir so eine Grundlage für eine nachhaltige (Verbands-)entwicklung.
4. SJ-Alter
4.1. Lebensrealität
a. Der SJ-Bereich ist durch die breite Altersgruppe besonders groß, ein Ende dieser Altersstufe ist nicht beschrieben, was an dieser Stelle auch nicht zielführend ist. Allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass sich die Lebensrealität von Jugendlichen ab 16 Jahren und jungen Erwachsenen in den 20ern ebenso unterscheidet, wie es auch Gemeinsamkeiten gibt.
b. Die Lebensrealität von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist bereits weitestgehend von der kapitalistischen Verwertungslogik bestimmt. Jugendliche werden in der Schule darauf getrimmt, gute Leistungen für die berufliche Qualifikation zu erbringen. Dabei wird ihnen die eigene Verantwortung in Bezug auf künftige Berufs- und Lebensentscheidungen übergeben. Dies geht ganz in der neoliberalen Ideologie von "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied" auf. Dass hier nicht alle die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben, wird verschleiert. Dieser Widerspruch, der sich zum einen aus der übertragenen Eigenverantwortung und zum anderen aus den gesellschaftlichen Ansprüchen ergibt, kann in dieser Phase des Lebens für Jugendliche und junge Erwachsene immens überfordernd sein. Gleichzeitig würde eine „echte“ Chancengleichheit nichts an den Klassenverhältnissen ändern.
c. Nicht nur im Sinne einer kapitalistischen Verwertungslogik werden Jugendliche und junge Erwachsene nun für den Staat als Arbeitskräfte und Konsument*innen interessant. Sie rücken auch als politische Subjekte in das Interesse der Gesellschaft, da sie unter anderem das Wahlrecht erhalten. Auf der Suche nach Soldat*innen, die bereit sind ihr Land unter Einsatz ihres eigenen Lebens zu verteidigen, werden junge Erwachsene für Nationalstaaten ebenso verwertbar.
d. Im Allgemeinen zeichnet sich die Lebensrealität von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im SJ-Bereich durch viele Umbrüche und Transitionsprozesse aus. Dabei müssen nun von ihnen individuelle Entscheidungen getroffen werden. Damit stellen sich diese Umbrüche anders dar als in der Kindheit, in der viele Entscheidungen ohne Mitsprachemöglichkeit für sie getroffen wurden. Diese Lebensphase ist also durch viele wegweisende Entscheidungen geprägt. Jugendliche und junge Erwachsene entscheiden sich nun für eine Art Lebensentwurf. Diese Entscheidung(en) können bewusst oder unbewusst getroffen werden.
e. Der Übergang von Schule zu Ausbildung, Job, Hochschule oder Erwerbslosigkeit stellt in vielen Biografien einen zentralen Wendepunkt dar. Er ist häufig verbunden mit weitere Veränderungen, wie zum Beispiel dem Auszug (bei den Eltern/Erziehungsberechtigten), einem Umzug in eine neue Stadt, Veränderung bzw. Wegbrechen der Peergroup und die neue Erfahrung für sich selbst verantwortlich zu sein. Im Falle des Verbleibs im selben Ort, ggf. sogar dem Wohnen-bleiben bei den Eltern, stellen sich mit dem Berufseinstieg und dem Verdienen vom ersten eigenen Geld Fragen von (finanziellen) Abhängigkeiten und persönlicher Autonomie.
f. Diese Lebensphase ist also durch viele wegweisende Entscheidungen geprägt. Jugendlichen und junge Erwachsene entscheiden sich hier auch für eine Art Lebensentwurf. Diese Entscheidung(en) kann bewusst und unbewusst getroffen werden.
In dieser Lebensphase und dem Prozess des Erwachsenwerdens verändert sich häufig auch das Verhältnis zu eigenen Familie. Nicht selten kann es gerade bei jungen SJ-Teilnehmenden in dieser Phase zu Konflikten mit den Eltern/Erziehungspersonen kommen. Hier kann Elternarbeit sinnvoll sein, um der Teilnehmer*in in dieser Lebensphase bei der Konfliktlösung zu helfen, wenn die Teilnehmer*in sich das wünscht. Ansonsten rückt Elternarbeit aus Verbandsperspektive in dieser Altersgruppe eher in den Hintergrund.
g. Der Bezug zur eigenen Peergroup befindet sich in dieser Lebensphase oft im Wandel. Liebesbeziehungen intensivieren sich zum Beispiel durch eine gemeinsame Lebensplanung und/oder Wohnung. Oft kann es an dieser Stelle zu Konflikten durch die verschiedene Priorisierung von Freund*innenschaften und Liebesbeziehungen zueinander, wie auch im Verhältnis zu Job, Ausbildung und Erwerbslosigkeit, kommen.
h. Durch die neue Lebensrealität veränderen sich Zeitkapazitäten und damit auch das Engagement und die Teilhabe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Verband. Wenngleich das Individuum über einen gewissen Entscheidungsfreiraum seiner Zeitressourcen verfügt, unterliegt es ebenso Sachzwängen der Gesellschaft. Vor allem Menschen in Ausbildung und Beruf wird eine Teilhabe und Mitgestaltung des Verbandslebens zunehmend erschwert.
4.2 Persönlichkeitsbedingungen
a. "Erwachsen werden"
Wie oben beschrieben, ist die Phase des Erwachsenwerdens zum einen stark durch Umbrüche geprägt, was in der Konsequenz aber auch ein "Mehr" an Erfahrungen bedeutet. Autonomiebestrebungen sind in der Altersgruppe besonders relevant, da Autonomie
als ein erfolgreiches Erwachsenwerden gelesen wird. Gerade die Volljährigkeit, die sich in der Gesellschaft als Abschluss des Fremdbestimmtseins darstellt, fühlt sich für viele Jugendliche wie ein Befreiungsschlag an, wenngleich damit neue Zwänge einhergehen. Dieses Spannungsfeld muss in der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen verhandelt werden. Die neue Eigenverantwortung oder die Erfahrung des "Auf-sich-allein-gestellt-Seins" kann aber auch überfordernd wirken, da sich die Jugendlichen und jungen Erwachsene in einem Spannungsfeld zwischen Eigenverantwortung und Überforderung befinden.
b. Sexualität und Geschlechterrollen
Sexualität (sexuelles Begehren) und Geschlechtsidentität sind eng miteinander verbunden und verhandeln sich in den verschiedenen Altersstufen gleichermaßen, wenn auch auf verschiedene Weisen. In der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird das noch einmal deutlich. Einige jüngere SJ-Teilnehmer*innen werden sicher schon sexuelle Erfahrungen gemacht haben, während das für ihre Altersgenoss*innen noch nicht zutrifft. Das Thema ist aber bei den allermeisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, unabhängig von gemachten Erfahrungen, präsent. Deshalb ist Sexualpädagogik für unsere pädagogische Arbeit unabdingbar. Ebenso braucht es geschlechterreflektierende Pädagogik, die sich nicht nur mit dem Themenbereich der Sexualität beschäftigt, sondern Geschlechtsidentität und entsprechende Zuschreibungen gesamtgesellschaftlich in den Blick nimmt.
c. Identitätsbildung
Nicht nur Geschlechtsidentität und Sexualität sind Teil der Identität eines Individuums. Unter Identität ist die Gesamtheit der Eigenschaften, Ansichten und Erfahrungen einer Person zu verstehen. Die Entwicklung der Identität entsteht aus dem Verlangen, die eigene Erfahrung der Individualität zu organisieren und zu verstehen. Diese äußeren Grenzen geben dabei einen bestimmten Rahmen vor, in dem teils eine bewusste und teils eine vorbewusste Identitätsbildung möglich ist. Es ist davon auszugehen, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen im SJ-Bereich ihre Identität schon verfestigt haben. Dennoch ist die Identitätsbildung ein dynamischer Prozess bis ins hohe Alter, den es auch im SJ-Bereich zu begleiten gilt. Auch Bildungsarbeit spielt hier eine nicht unerhebliche Rolle in der Auseinandersetzung mit der eigenen Positionierung zur Welt.
d. Politisches Bewusstsein
Mit dem verstärkten Einfluss von Leistungs-, Verwertungs- und Lebensführungszwängen durch (Übergänge zu) Ausbildung, Uni, Job und Familie, gewinnt das politische Bewusstsein der Jugendlichen an Relevanz. Politisches Bewusstsein zeichnet sich durch einen Prozess der Bewusstwerdung aus. Hierbei können gemachte Erfahrungen, durch den normativen Druck der Gesellschaft (durch neue Erfahrungen von Ausbeutung, Ohnmacht und Vereinzelung in Ausbildung, Job und Uni) und durch Aushandlungen im politischen Kollektiv, die politischen Positionen radikalisieren oder nochmal komplett ändern.
4.3 Pädagogische Ziele
Abgeleitet von unserer Analyse und den vorangegangen pädagogischen Zielen, für die verschiedenen Altersbereiche, ergeben sich im SJ-Bereich folgende Ziele:
a. Wenngleich unsere pädagogische Arbeit in allen Altersbereichen möglichst hierachiearm sein sollte, wird dies im SJ-Bereich nochmal mehr relevant. Um mit den Jugendlichen möglichst auf Augenhöhe arbeiten zu können, müssen sie als gleichberechtigte Individuen anerkannt werden.
b. Ebenso spielt die praktische Unterstützung bei (Lebens-)entscheidungen, das Eröffnen von Möglichkeitsräumen und das Aufzeigen alternativer Lebensentwürfe eine Rolle in der pädagogischen Gruppenarbeit.
c. Um gesellschaftliche Ausschlüsse nicht zu verstärken muss es in diesem Altersbereich noch einmal mehr Verbandsziel sein, eine Praxis zu entwickeln, die die unterschiedlichen finanziellen und zeitlichen Ressourcen der einzelnen Genoss*innen ernst nimmt und ihnen ermöglicht, am Verbandsleben teilzunehmen.
d. Im SJ-Bereich stellt die Begleitung von Selbstorganisationsprozessen das zentrale Mittel der Pädagogik dar. Dabei können die Gruppen bestenfalls auf Demokratie- und Mitbestimmungserfahrungen aus dem F- und RF-Bereich aufgebaut werden. Ziel der SJ-Helfer*innen muss es sein, sich „überflüssig" zu machen. Das bedeutet, dass die SJ-Gruppe lernt, Gruppenprozesse selbstständig und ohne Helfer*innen auszuhandeln.
e. Falkensozialisationsdefizite ausgleichen.
Im SJ-Ring sind wir damit konfrontiert, dass wir zum einen mit Jugendlichen arbeiten, die zum Teil seit Jahren in Falkengruppen organisiert sind, zum anderen Teil aber auch mit Jugendlichen, die anpolitisiert über andere Verbände, Freundesgruppen oder auch ohne politischen Anspruch, sondern zum Zweck einer günstigen Freizeitgestaltung, zu uns kommen. Unser Ziel ist es, alle Gruppen zusammenzuführen, um eine stabile Helfendengeneration zu stellen.
f. Zentrales Ziel des Verbandes im SJ-Bereich ist Kollektiverfahrungen innerhalb der Gruppe zu ermöglichen, um Jugendlichen und jungen Erwachsenen dabei zu helfen, auf die, an sie gestellten, gesellschaftlichen Anforderungen gemeinsam reagieren zu können; das kann Überforderung abfedern, solidarische Handlungspraxen innerhalb des kapitalistischen Systems zu erarbeiten und das System gleichzeitig zu zerschmettern.
An dieser Stelle muss es sozialistische Erziehung und unsere pädagogische Arbeit in dieser Altersstufe leisten, Räume zu schaffen, in denen Jugendliche und junge Erwachsene sich solidarisch und außerhalb kapitalistischer (Konsum-)Zwänge organisieren können. Das muss unsere Praxis leisten, damit klar wird, dass wir als Sozialist*innen nicht der Meinung sind, dass in unseren Kollektiven jemand mit seinen Sorgen und Problemen auf sich alleine gestellt sein muss, sondern wir uns solidarisch und gemeinsam, auch in ganz praktischen Lebensanforderungen, unterstützen wollen.
g. Das Unbehagen mit und die Erfahrung von Ungerechtigkeit in der Gesellschaft soll durch die Arbeit bei den Falken in politisches Bewusstsein übersetzt werden. Das politische Bewusstsein kann dann als Instrument genutzt werden, um die Gesellschaft zu begreifen und sich zu Zwängen in ein kritisches Verhältnis zu setzen sowie Handlungsfähigkeit zu erlangen.
h. Es muss in der Arbeit bewusstgemacht werden, dass das Empowern der*des Einzelne*n durch das Kollektiv ermöglicht wird und sich mit ihm auch konkrete Handlungsmöglichkeiten in politischen Aktionismus oder politischen Kämpfen eröffnen.